Schon viele Jahre vor dieser Tour war es mein Wunsch, einmal die südlichen Dörfer des Bulsalandes zu besuchen und vor jedem Ghanaaufenthalt stand dieses Unternehmen auf dem Forschungsplan. Nachdem ich durch Pastor Howard Brant von den Terrakotten in Yikpabongo gehört hatte, konzentrierte sich mein Wunsch auf das Komaland, nicht nur um dort möglichst viele Terrakotten zu fotografieren, sondern auch um die kulturelle und sprachliche Verwandtschaft der Koma zu den Bulsa zu untersuchen. 1981 scheiterte mein Plan, da der damals noch nicht überbrückte Sisili-Fluss in der Regenzeit stark angeschwollen war.
Als ich Anfang Juli 1984 wieder das Bulsaland betrat, höre ich überall Klagen der Bauern über den ausbleibenden Regen, denn eigentlich sollte der Höhepunkt der Regenzeit schon erreicht sein. Der Grund für das Leid der Bauern war für mich ein Anlass zur Freude, denn alle Flüsse hatten noch einen recht niedrigen Wasserstand. Ein zweiter Grund, die Fahrt nach Yikpabongo zu wagen, bestand darin, dass ich in meinem Assistenten Peter Wangara aus Sandema-Kobdem einen jungen Mann fand, der schon mehrmals mit Howard Brant, einem Missionar der “Good News Church” (heute “Bible Church of Africa”) bei den Koma gewesen war und angeblich auch den Weg kannte.
Unsere Fahrt mit dem Mofa war für den 7. und 8. Juli geplant. Am aufregendsten war die Nacht vor der Fahrt und vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben nahm ich abends eine Schlaftablette. Peter, ein außergewöhnlich großer und schwerer Mann, kam pünktlich. Die schwersten Dinge unseres Gepäcks bestanden aus der Kamera, 1 Liter Benzin (zusätzlich zum vollen Tank) und 1 Liter Zitronentee, dazu etwas Brot sowie ein wenig Medizin und Verbandszeug.
Um 6.35 Uhr starten wir, sind um 7.40 Uhr in Fumbisi und fahren dann über die neue Laterit-Piste nach Wiesi. Im Haus des Chiefs Leo werden wir freudig aufgenommen, auch wenn er selbst nicht anwesend ist. Leo hat mit seiner ganzen Familie den christlichen Glauben in der Form der “Good News Church” angenommen. Peter und ich fahren zur Furt über den Sisili, wo zwei ältere Frauen ihre Kleider waschen. Eine von ihnen zeigt und die Tiefe des Wassers, indem sie in voller Kleidung durch den Fluss watet. Das Wasser reicht ihr bis zur Brust. Sie bietet sich an, das Mofa allein auf dem Kopf durch den Fluss zu tragen, aber wir wollen es zuerst einmal selbst versuchen: ich trage es vorn, eine Frau und Peter hinten. Nachdem wir auch noch das Gepäck herübergeholt haben, befinden wir uns in der Northern Region of Ghana und der schwierigste Teil unserer Reise kann beginnen.
Kaum zu erkennen, hat Peter doch unseren schmalen Fußpfad gefunden, auf dem wir uns jetzt voran in Richtung Yikpabongo bewegen. Immer wieder bleiben wir im trockenen Sand stecken, auch mussten wir unser Mofa mehr durch Trampeln bewegen oder schieben als durch Motorkraft. Nach einigen Kilometern bin ich völlig erschöpft und denke an eine Rückkehr. Aber es ist erst 9 Uhr und selbst zu Fuß könnten wir heute noch Isiasi (Yizesi) erreichen. Dann entschließen wir uns zu einer neuen Art der Fortbewegung: einer schiebt das Mofa, der andere übernimmt die leichtere Aufgabe: er folgt mit dem Gepäck, dann wechseln wir die Aufgaben. Nach der ersten Rast wird der Weg besser, er besteht jetzt aus Erde, Steinen oder Felsen und wir können wieder zusammen mit Motorkraft fahren.
Endlich sehen wir, wie bei einer Fata Morgana, Strohdächer in der Ferne: ein unvorstellbares Glücksgefühl: Es ist Isiasi. Wir sind wieder unter Menschen, die uns etwas verwundert anschauen, aber zu jeder Hilfe bereit sind. Viele von ihnen verstehen und sprechen neben ihrer Muttersprache Mampruli auch Buli.
Die letzte Etappe wird schwieriger als die erste. Wir suchen Isabisa, aber es ist nur ein Ausläufer von Isiesi. Bald haben wir völlig den richtigen Weg verloren. Wir kommen an eine Felskette, über die wir das Mofa nicht einmal schieben können, vielmehr muss es einer dem anderen nach oben weiterreichen. Endlich sehen wir zwei Feldarbeiter und hoffen, dass wir kurz vor Yikpabongo sind, aber er weist uns genau in die Richtung aus der wir gekommen sind. Die Arbeiter führen uns bis zu dem richtigen Weg und einer trägt sogar mein Gepäck. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich als einziger unbepackt gehe, denn Peter, der auch völlig erschöpft ist, schiebt das Mofa. Es ist noch 2 km bis zum Ziel.
Wie groß ist die Freude, als wir durch Bäume und Büsche braune Lehmhäuser erkennen können. Es ist Yikpabongo. Unterkunft gewährt uns der Grundschullehrer Amos. Zuerst muss ich natürlich die beiden Häuptlinge des Dorfs besuchen. Der ältere zeigt uns eine große Janusfigur, die ich später im Besitz von van Ham in Rotterdam wiedersehe und deren Abbild ich später im Großen Brockhaus veröffentliche. Außerdem einen janiformen Topfdeckel, der später auch in Anquandah’s ersten Publikation abgebildet wird. Ich habe sehr großen Durst, denn der Zitronentee in meiner Flasche ist aufgebraucht. Zum Abendessen trinke ich dann doch einige Schluck braunes, schmutziges und nicht abgekochtes Wasser. Vor dem “Zu-Bett-gehen” kann ich noch das Spielzeug von einigen Kindern fotografieren – es sind alte Terrakotten und ein Mann bringt mir eine Schüssel mit 17 Figuren. Man drängt mich, doch einige Figuren mitzunehmen, aber ich will keine Gefahr eingehen, in die Rolle eines illegalen Händlers gestoßen zu werden. Die Nacht war grauenvoll. Zum Schlafen hatte ich nur zwei aneinander gestellte Holzbänke ohne Decke. Immerhin war ich vor Schlangen und Skorpionen geschützt, aber ein echter Schlaf hat sich nicht eingestellt. In der Nacht regnet es und der Regen schafft eine erste Abkühlung. Nach einigen weiteren Aufnahmen und Besuchen dränge ich um 8 Uhr zum Aufbruch, denn ich befürchte, dass der Sisili-Fluss durch den Regen angestiegen ist. Ich vermutete,, Da der Sand der Fußpfade durch den Regen etwas fester geworden ist, vermute ich, dass die Rückfahrt leichter wird. Aber dann kommen die auf der Hinfahrt passablen Untergründe aus Erde, die sich jetzt in einen Matsch umgewandelt haben. Diesmal verlaufen wir uns in dem Dorf Isiasi und müssen unseren Weg von Compound zu Compound erfragen.
Der Sisili-Fluss ist noch passierbar, auch wenn mir das Wasser nun bis zum Hals reicht und die Strömung stärker geworden ist. Beim Überqueren verletze ich mir meinen Fuß an einem Stein und muss später die blutende Wunde versorgen. In Wiesi kehren wir im Haus des Chiefs ein, der diesmal zu Hause ist. Am Eingang höre ich schon einen lauten Ruf “Hallo, Francis”. Er kommt vom Chief selbst. So etwas entspricht in keine Weise der von einem Chief geforderten Etikette, aber Leo war immer schon etwas moderner eingestellt. Wir hatten uns zuletzt 1973 (?) gesehen.
Auf der Rückfahrt durch das Bulsaland habe ich nur noch eine Sorge: Reicht mein Benzinvorrat aus? Für die unwegsamen Gebiete habe ich mehr verbraucht als vorherberechnet. Einige hundert Meter vor der Presbyterianischen Missionsstation von Kobdem, meiner Unterkunft, bleibt das Mofa stehen. Der Tank ist völlig leer. Gerne schiebe ich die letzten 100 Meter und bin erleichtert, dass die Fahrt trotz aller Mühsal und Probleme doch ein großer Erfolg war. Als erster deutscher Ethnologe habe ich ein Gebiet im Süden des Bulsalandes betreten und konnte außerdem noch Informationen und Fotos heimbringen, die in den nächsten Jahrzehnten noch eine große Rolle spielen würden.
In den folgenden Jahren bin ich noch häufiger nach Yikpabongo und zu den Koma gefahren. 2001 war es eine Tagestour mit dem Geländewagen von Anne Schwarz (s. Aufsatz “Doppelpanne”). Im Dezember 2002 (3.12.-9.12) stellte uns der District Chief Executive (deutsch etwa “Landrat”) James Agalic einen Geländewagen mit Fahrer für die Hinfahrt zur Verfügung. Am Ende unseres Aufenhaltes holte er uns, meinen Assistenten Tahiru und mich, wieder ab. Ähnlich war es 2005 und 2006, als ich die Koma mit Yaw besuchte. 2008 fuhren Yaw und ich mit dem Bus und den Fahrrädern auf dem Verdeck über Nangruma nach Yikpabongo und 2011 besuchten wir viele Orte, auch außerhalb des Koma-Gebietes, mit Yaws Motorrad.